Bharata Natyam - klassischer indischer Tempeltanz

Die Wurzeln des traditionellen südindischen Tanzstils Bharata Natyam haben eine jahrtausende alte Tradition. Der Tanz, der ursprünglich nur in Tempeln und an Königshöfen gepflegt wurde, beschreibt Themen der klassischen vedischen Literatur Indiens. Inhalt und Ziel aller Tänze ist es, die Persönlichkeit Gottes zu preisen und zu verehren. In der vedischen Kultur wurden die Tänzerinnen bereits als junge Mädchen dem Tempel geweiht, wo sie ihre Ausbildung und Unterkunft erhielten. Nach der Pubertät wurden sie in einer feierlichen Zeremonie mit der Tempelgottheit verheiratet. Daher tragen die Tänzerinnen bei Aufführungen auch heute noch den traditionellen Brautschmuck.

Es gibt zwei Unterteilungen des Bharata Natyam: 1. Abhinaya, die erzählerische Tanzform, und 2. Nrtta, der abstrakte, rhythmische Tanz. Jede Tanzaufführung beginnt mit einer Begrüßung. Dabei bringt die Tänzerin der Persönlichkeit Gottes, ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin sowie dem Publikum ihre Ehrerbietungen dar. Die folgenden Tänze erzählen meist Geschichten aus der vedischen Literatur, welche die Taten Gottes, Seiner Geweihten oder anderer großer Persönlichkeiten darstellen.

Die Aufgabe der Tänzerin besteht darin, die im Text und in der Musik ausgedrückten Emotionen in einer solchen Weise darzustellen, daß der Zuschauer beim Betrachten des Tanzes in die entsprechende Stimmung versetzt wird. Wichtig sind dabei die zahlreichen Hand- und Fußstellungen (Mudras), die alle eine ganz bestimmte Bedeutung haben. Vor allem in den Augen der Tänzerin sollen die zahlreichen feinen Gemütsstimmungen zum Ausdruck gebracht werden.

Der traditionelle Seidensari, der heute oft zu einem fertigen Tanzkostüm genäht wird, der prächtige Brautschmuck, die Blumen, die klingenden Fußglöckchen sowie die kunstvolle Bemalung der Hände und Füße bereichern das äußere Erscheinungsbild der Tänzerin.

Während der Jahrhunderte der britischen Kolonialmacht drohte die traditionelle indische Tanzkunst auszusterben. Es ist einzig einigen wenigen Tempelpriestern und Tanzmeistern zu verdanken, daß diese Kunst in unserem Jahrhundert wiederbelebt werden konnte. In den 30er-Jahren erlebte auch der Bharata Natyam-Stil seine Renaissance, der heute nicht nur in Indien, sondern auch weltweit seine Bewunderer gefunden hat.